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Prometheus, Illustrirte Wochenschrift über die Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft
Nr. 322, Jahrgang VII Heft 10 (4. Dezember 1895 und Heft 11 (11. Dezember),
[gehörend zu Jahrgang VII (1896)] (Digitalisat gesamt)

Heft 10, S. 145 - 148

Fliegesport und Fliegepraxis

von O. Lilienthal

Wer die flugtechnischen Arbeiten der letzten Jahre mit Aufmerksamkeit verfolgte, wird die Ueberzeugung gewonnen haben, dass das freie Fliegen des Menschen sich nicht durch eine einzige technische Grossthat erfinden lässt, sondern in allmählicher Entwickelung seiner Vollendung entgegen geht; denn nur diejenigen flugtechnischen Bestrebungen waren von Erfolg begleitet, welche einem solchen Entwickelungsgange entsprachen.

Während man früher mehr darauf ausging, fertige Flugmaschinen zu construiren, welche das Problem mit einem Schlage lösen sollten, gewann man schliesslich die Ueberzeugung, dass unsere physikalischen und technischen Kenntnisse sowie unsere praktischen Erfahrungen auf dem Gebiete des freien Fluges lange nicht ausreichten, um eine so grosse und schwierige mechanische Aufgabe ohne weiteres zu bewältigen.

Die Einsichtigeren bemühten sich deshalb weniger, das Flugproblem als Ganzes zu bearbeiten sondern zergliederten dasselbe in seine einzelnen Theile und suchten zunächst über die Elemente der Flugtechnik, auf denen eine erfolgreiche Bearbeitung sich aufzubauen hat, Klarheit zu verbreiten.

Diesem Bestreben haben wir es zu danken, dass vor allen Dingen die Gesetze des Luftwiderstandes, auf denen doch alles active Fliegen beruht, über welche aber leider bis vor wenigen Jahren die grösste Unklarheit herrschte, neuerdings so weit erforscht sind, dass eine rechnungsmässige Behandlung der Fliegevorgänge überhaupt möglich geworden ist. Ausserdem sind die physikalischen Vorgänge des natürlichen Fluges der Thiere eingehender untersucht und meist in genügender Weise erklärt worden. Auch die Natur des Windes und den Einfluss desselben auf fliegende Körper hat man studirt und dadurch manche bisher unbegreiflichen Erscheinungen des Vogelfluges verstehen gelernt, so dass dieselben auch für den Flug des Menschen in Aussicht genommen werden können.

Das für die Flugtechnik erforderliche theoretische Rüstzeug hat durch alle diese Arbeiten in den letzten Jahren eine solche Bereicherung erfahren, dass wenigstens die Einzeltheile oder gewissermaassen die Maschinenelemente von Fliegevorrichtungen mit ausreichender Genauigkeit berechnet und construirt werden können. Man ist mit Hülfe dieser theoretischen Kenntnisse sehr wohl im Stande, Flügel- und Trageflächen richtig zu formen und so anzuordnen, wie es die beabsichtigten Wirkungen nöthig machen.

Damit sind wir aber noch lange nicht in die Lage gekommen, fertige Flugmaschinen, welche allen Anforderungen genügen, zu bauen und anzuwenden. Zwar hat man in dem Eifer, das Flugproblem schnell zu fördern, auch in letzter Zeit wiederholt Projecte gebracht, welche vollständige, dynamisch bewegte Luftschiffe darstellen; die Constructeure derselben sind sich aber kaum bewusst, welche Schwierigkeiten unser harren, sobald wir an die Verwirklichung derartiger umfassender Fliegeideen herantreten.

Allen Denen, welche mit wirklichen Flugversuchen sich viel beschäftigten, zeigte sich, dass selbst bei theoretischer Beherrschung der Flugfrage die praktische Lösung der letzteren nur auf einem Wege erreicht werden kann, der durch stufenweise Aneinanderreihung praktischer Erfolge mühsam und allmählich sich Bahn bricht. Auch die praktischen Aufgaben der Flugtechnik hat man wiederum zunächst so weit wie möglich zu vereinfachen und zu zergliedern und viel Fleiss und Ausdauer auf diese einzelnen Factoren zu verwenden, anstatt gleich direct auf das Endziel loszusteuern.

Da diese Erfahrungssätze selten befolgt werden, so sind auch die praktischen Resultate im wirklichen Fliegen des Menschen bis heute ausserordentlich gering.

Kenntnisse in der Fliegepraxis lassen sich nur sammeln, wenn man im wirklichen Fluge sich befindet. Der Aufenthalt in der Luft ohne Anwendung des Ballons ist unbedingt nöthig, um ein Urtheil über die Erfordernisse beim freien Fliegen zu gewinnen und eine regelrechte und sichere Fliegepraxis auszubilden. In der Luft selbst müssen wir unser Verständniss von der Stabilität des Fluges zu erweitern suchen, so dass eine sichere und gefahrlose Bewegung durch die Luft sieh ergiebt und schliesslich ohne Zerstörung der Apparate und ohne Gefährdung unseres Lebens wieder auf der Erde gelandet werden kann. Nur wenn man die hierzu erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten sich erworben hat, kann man sich mit praktischen Flugversuchen erfolgreich beschäftigen.

Die Constructeure und Erbauer von Flugmaschinen haben diese durchaus erforderlichen praktischen Erfahrungen in der Regel nicht gesammelt und deshalb ihre oft kunstvollen und kostspieligen Arbeiten nutzlos verschwendet.

Beim freien Durchfliegen der Atmosphäre treten viele ganz eigenartige Erscheinungen auf, welche dem Constructeur auf keinem andern Gebiete der Technik begegnen. Insbesondere sind es die Eigenthümlichkeiten des Windes, welche beim Bau und bei der Anwendung von Flugapparaten berücksichtigt werden müssen. Wie wir uns den Unregelmässigkeiten des Windes gegenüber zu verhalten haben, wenn wir frei in der Luft schweben, das lässt sich nur in der Luft selbst lernen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein einziger Windstoss den von Unkundigen geführten Apparat und sogar das Leben des Fliegenden zerstören kann.

Diese Gefahr lässt sich nur abwenden, wenn man durch regelrechte und ausdauernde Uebungen mit dem Winde vertraut wird und wenn man die Apparate nach und nach so vervollkommnet, dass dieselben zu einem sicheren Fliegen sich eignen.

Der einzige Weg, der uns zu einer schnellen Entwickelung des Menschenfluges führt, ist daher die systematische und energische Beschäftigung mit praktischen Flugversuchen. Diese Versuche und Flugübungen müssen aber nicht nur von den Forschern allein ausgeführt werden, sondern auch eine Beschäftigung Derer bilden, welche eine anregende Unterhaltung im Freien suchen, so dass durch eine möglichst vielseitige Bethätigung die Apparate und ihre Anwendungsformen schnell einen möglichst hohen Grad der Vollkommenheit erreichen.

Es kommt also darauf an, eine Methode aufzufinden, welche die gefahrlose Veranstaltung von Flugversuchen gestattet und gleichzeitig als interessante Unterhaltung sportlustiger Männer sich verwerthen lässt.

Es ist ferner Bedingung, dass zu solchen Flugübungen zunächst sehr einfache, leicht herstellbare, billige Apparate Verwendung finden, damit eine um so regere Betheiligung an diesem Fliegesport eintritt.

Alle diese Bedingungen lassen sich leicht erfüllen. Man kann mit ganz einfachen Vorrichtungen ohne alle Anstrengung weite Strecken durchfliegen, und eine solche freie und gefahrlose Bewegung durch die Luft gewährt ein so grosses Vergnügen wie keine andere Sportbeschäftigung.

Die Leser des PROMETHEUS wissen durch meine Aufsätze in den Nummern 204/5, 219/20 und 261 dieser Zeitschrift, dass man von erhöhten Abfliegepunkten mit Segelapparaten, welche den ausgebreiteten Fittichen eines schwebenden Vogels gleichen, gegen den Wind durch die Luft schweben kann, um erst in grösserer Entfernung auf der Erde sich wieder niederzulassen. Ueber geneigtem Gelände kann man solche Segelflüge, wie Abbildung 92 dies veranschaulicht, ganz gefahrlos einüben und schliesslich beliebig weit durch die Luft segeln. Man empfindet die Tragfähigkeit der Luft besonders dann, wenn etwas Wind vorhanden ist. Bei plötzlicher Steigerung des Windes bleibt man zuweilen längere Zeit in der Luft stehen oder schwebt wie in Abbildung 93 hoch über den Köpfen der Zuschauer dahin.
Unbeschreiblich ist der Reiz, den solche Flüge gewähren, und eine gesundere Bewegung im Freien sowie ein mehr anregender Sport sind wohl nicht denkbar.

Der Wetteifer bei diesen Uebungen muss nothgedrungen zu einer steten Vervollkommnung der Apparate führen, gerade so, wie wir dies z. B. bei den Fahrrädern erlebt haben. Ich spreche hierbei bereits aus eigener Erfahrung; denn wenn auch meinen Segelapparaten noch immer dasselbe System zu Grunde liegt, so haben dieselben doch von Jahr zu Jahr schon erhebliche Wandlungen durchgemacht.

 

Originalfoto Abb. 92

 

Der Apparat, wie ich ihn jetzt bei meinen Flugübungen anwende, enthält viele Verbesserungen gegenüber den ersten Segelflächen, mit denen ich vor fünf Jahren diese Art von Experimenten begann. Die ersten Versuche bei windigem Wetter belehrten mich, dass man mit geeigneten Steuerflächen der besseren Ausrichtung gegen den Wind zu Hilfe kommen müsse. Wiederholte Aenderungen in der Construction führten dann zu Apparaten, mit denen man gefahrlos von beliebigen Höhen in die Luft sich hineinstürzen kann, um in grosser Entfernung sicher den Boden wieder zu erreichen. Die Bauart der Flugsegel wurde so gewählt, dass dieselben in allen Theilen einem Sprengwerke gleichen, dessen einzelne Glieder nur auf Zug und Druck beansprucht werden, um dadurch die grösste Festigkeit mit der grössten Leichtigkeit zu verbinden.

Eine wichtige Verbesserung war dann die Anordnung der Zusammenlegbarkeit, die auf Tafel II in Nr. 261 dieser Zeitschrift dargestellt wurde. Alle neueren Apparate sind so eingerichtet, dass dieselben durch eine 2 m hohe und 1 m breite Thür transportirt werden können. Das Entfalten und Zusammensetzen des Flugzeuges dauert nur etwa zwei Minuten.

Ein einziger Griff mit den Händen genügt, um den Apparat sicher mit dem Körper zu verbinden, und ebenso schnell steigt man nach dem Landen aus dem Apparate heraus. Bei eintretendem Unwetter ist das Flugsegel in einer halben Minute zusammengelegt und überall unterzubringen. Will man dasselbe nicht demontiren, so kann man unter den Flügeln, unter denen 20 Personen Platz haben, im Trockenen das Aufhören des Unwetters abwarten. Auch der stärkste Regen fügt dem Apparate keinen Schaden zu. Das vollkommen durchnässte Flugzeug wird nach dem Aufhören des Regens durch wenige Segelflüge, bei welchen die Luft dasselbe mit grosser Schnelligkeit durchstreicht, bald getrocknet.

 

Originalfoto Abb. 93

 

Die neueste Verbesserung meiner zu praktischen Versuchen verwendeten Flugapparate bezieht sich auf die Erzielung grösserer Stabilität bei windigem Wetter.

Meine Experimente erstrecken sich besonders nach zwei Richtungen. Einerseits bin ich bemüht, meine Erfolge im Durchsegeln der Luft mit unbeweglichen Apparaten dahin auszudehnen, dass ich die Ausnutzung immer stärkerer Winde einübe, um dadurch womöglich in den dauernden Schwebeflug hineinzukommen. Andererseits suche ich den dynamischen Flug durch Flügelschläge zu erreichen, die als einfache Zuthat zu meinen Schwebeflügen eingeführt werden. Die dazu erforderlichen maschinellen Einrichtungen, welche auch nur durch viele Umwandlungen eine gewisse Vollkommenheit erreichen können, gestatten mir noch nicht, abgeschlossene Resultate bekannt zu machen. Dagegen kann ich berichten, dass ich bei meinen Schwebeflügen im letzten Sommer mit dem Winde auf einen viel vertrauteren Fuss gekommen bin.

Was mich seither hinderte, beliebig starke Winde bei meinen Schwebeversuchen zu verwenden, das war die Gefahr des Sturzes aus der Luft, wenn es mir nicht gelang, diejenigen Stellungen des Apparates innezuhalten, welche ein sanftes Landen hervorrufen. Der wild anstürmende Wind sucht den frei schwebenden Flugkörper umherzuschleudern, und wenn hierbei auch nur für kurze Zeit eine Stellung des Apparates entsteht, bei welcher der Wind die Flügelflächen von oben trifft, so schiesst der Flugkörper pfeilschnell herab und kann an der Erde zerschellen, bevor es gelingt, eine günstigere Stellung herbeizuführen, in welcher der Wind wieder tragend wirkt. Je stärker der Wind weht, desto leichter tritt diese Gefahr ein, denn um so ungleichmässiger und heftiger sind die Windstösse.

Bei mässig starker Luftbewegung kann man nach wenig Uebung ganz sichere und gefahrlose Schwebeflüge von grösserere Ausdehnung zurücklegen. Es ist aber gerade interessant und lehrreich, in so starkem Winde zu üben, dass man zeitweilig vom Winde ganz getragen wird. Die Grösse der Apparate setzt uns jedoch hierbei leider eine Grenze. Wir dürfen die Segelflächen nicht über ein gewisses Maass ausdehnen, wenn wir ihre Handhabung in bewegter Luft nicht zur Unmöglichkeit machen wollen. Mit Flächen von 14 qm, welche, von Spitze zu Spitze gemessen, 7 m nicht überschreiten, kann man bei gehöriger Uebung allenfalls noch eine mit etwa 7 m Geschwindigkeit wehende Luft vertragen.

Obwohl mich der Wind bei diesen Experimenten oft stark hin und her schleuderte und ich zuweilen einen förmlichen Tanz in der Luft ausführen musste, um das Gleichgewicht zu behaupten, so gelang mir doch stets die glückliche Landung. Dennoch aber gewann ich die Ueberzeugung, dass bei Zunahme der Flügelgrösse oder Verwerthung noch stärkerer Winde, die den Aufenthalt in der Luft noch mehr verlängern, irgend Etwas geschehen müsse, um die Lenkbarkeit und leichtere Handhabung der Apparate zu vervollkommnen.

Es erschien mir dies um so wichtiger, als es für die Entwickelung des Menschenfluges gerade von der grössten Bedeutung ist, dass alle Diejenigen, welche sich mit solchen Experimenten beschäftigen, recht schnell den sicheren Gebrauch der Apparate lernen und auch in bewegter Luft dieselben zu benutzen verstehen. Gerade im Winde sind diese Uebungen höchst anregend und tragen den Charakter des Sports; denn alle Flüge sind dann verschieden und die Geschicklichkeit des schwebenden Mannes hat den weitesten Spielraum zu ihrer Entfaltung. Auch Muth und Entschlossenheit kommen hierbei in hohem Grade zur Geltung.

Werden solche Uebungen nach einem bestimmten, erprobten Systeme vorgenommen, so sind dieselben nicht gefährlicher, als wenn man sich mit Reiten oder auf dem Wasser mit Segeln beschäftigt.

Aehnlich wie beim Wassersport wird auch beim Luftsport eine Ehre darin gesucht werden, die glänzendsten Resultate zu erzielen. Sowohl die Apparate, als auch die Geschicklichkeit ihrer Führer werden mit einander wetteifern. Wer von einem bestimmten Abfliegepunkte am weitesten zu fliegen vermag, wird als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen. Dies wird nothgedrungen zur Anfertigung immer besserer und besserer Flugwerkzeuge führen. Wir werden in kurzer Zeit Vervollkommnungen zu verzeichnen haben, welche wir heute kaum ahnen.

Das Fundament für diesen Entwickelungsgang ist heute schon vorhanden, es fehlt nur noch der weitere Ausbau, um die Vollendung zu erreichen. Je grösser die Anzahl Derer ist, denen die Förderung des Fliegesports und die Vervollkommnung der Flugapparate am Herzen liegt, um so schneller werden wir zum fertigen Fliegen gelangen. Es wird also vor allem darauf ankommen, dass sich recht viele körperlich gewandte und technisch gebildete Männer mit diesem Gegenstande beschäftigen und dass ein möglichst bequem zu benutzender Apparat beschafft wird. (Schluss folgt.)

 

Fortsetzung im Folgeheft vom 11. 12. 1895, S. 169 - 173

Fliegesport und Fliegepraxis

von O. Lilienthal

(Schluss von Seite 148)

Die Mittel, welche von mir angewendet wurden, um die Handhabung der Apparate zu erleichtern und ihre Anwendbarkeit im Winde zu erweitern, bestanden zunächst in verschiedenen Anordnungen zur willkürlichen Formveränderung der Flügel. Ich übergehe aber die hierbei erzielten Erfolge, weil ein anderes Princip überraschend günstige Resultate ergab.

Durch meine Segelflugübungen bin ich daran gewöhnt, durch einfache Schwerpunktsverlegung die Lenkung zu bewirken. Je kleiner hierbei die Apparate in ihrer Flächenausdehnung sind, um so mehr habe ich dieselben in der Gewalt. Wenn ich jedoch bei stärkerem Winde kleinere Trageflächen nehme, so wird an dem Effecte nichts gebessert. Es kam mir deshalb der Gedanke, zwei kleinere, mit einander parallele Flächen über einander anzubringen, welche beim Durchsegeln der Luft beide hebend wirken. Es musste sich bei dieser Anordnung dieselbe Tragfähigkeit ergeben, wie bei einer einzigen Fläche von doppelter Ausdehnung, während aber der Apparat wegen seiner Kleinheit den Schwerpunktsveränderungen leichter gehorcht.

Bevor ich an die Ausführung dieser doppelten Segelapparate ging, stellte ich mir aus Papier kleine Modelle nach diesem Systeme her, um das Verhalten eines solchen Flugkörpers bei freier Bewegung in der Luft zu studiren und nach dem Ergebniss den Bau der Apparate im Grossen einzurichten.

Gleich die ersten Versuche mit diesen kleinen Modellen, deren Form aus Abbildung 114 ersichtlich ist, überraschten mich durch die Stabilität ihrer Bewegungen in der Luft. Es schien, als wenn durch die Anordnung zweier Flächen über einander der Flug sicherer und gleichmässiger würde. Es gelingt sonst sehr schwer, vogelähnliche Modelle herzustellen, welche, sich selbst überlassen, von höheren Punkten in einer gleichmässig geneigten Linie durch die Luft gleiten. Ich erinnere an die umfangreichen Arbeiten, welche die Ingenieure Riedinger, von Siegsfeld und von Parseval in Augsburg mit dem Aufwand bedeutender Kosten anstellten und durch welche dargethan wurde, wie schwierig die Herstellung von Modellen ist, die sich selbstthätig in eine stabile Flugbahn einstellen. Ich selbst habe früher daran gezweifelt, dass ein lebloser, schnell vorwärts segelnder Flugkörper ein gutes Gleichgewicht in der Luft finden könne, war also um so mehr erfreut, als mir dies mit den kleinen Doppelflächen gelang.

 

Originalzeichnung Abb. 114

 

Nach diesen Erfahrungen baute ich mir zunächst einen Doppelapparat (Tafel III, Figur I) bei dem jede Fläche 9 qm besitzt. Ich erhielt also eine verhältnissmässig grosse Tragefläche von 18 qm bei nur 5 1/2 m Spannweite.

Die obere Fläche, welche um etwa 3/4 der Flügelbreite über der unteren Fläche liegt, hat keineswegs irgend eine störende Wirkung, sondern entwickelt nur eine senkrecht hebende Zugkraft. Es ist zu bedenken, dass man mit solchem Apparate immer die Luft schnell durchschneidet, so dass beide Flächen von dem Luftstrom getroffen werden und daher auch beide hebend wirken.

Die ganze Handhabung eines solchen Doppelapparates ist genau so wie bei der einfachen Schwebefläche. Ich konnte also die von mir erlangte Fertigkeit ohne weiteres anwenden.

Aus Figur 2 der Tafel III ersieht man, wie der Schwerpunkt des Körpers und besonders die Beine nach links bewegt werden, um den linken Flügel, welcher etwas gehoben ist, herabzudrücken. In Fig. 3 (Tafel III) findet die entgegengesetzte Bewegung nach rechts statt. Dagegen ist die mittlere Lage in Fig 4 (Tafel III) innegehalten, wo der Apparat horizontal schwebt.

Die mit solcher doppelten Segelfläche veranstalteten Flüge zeichnen sich alle durch ihre grosse Höhe aus, wie aus Figur I der Tafel IV, die den Apparat von der Seite zeigt, ersichtlich ist.

Das Landen mit diesem Apparate gestaltet sich genau wie das Landen mit der einfachen Segelfläche durch Verlangsamung der Geschwindigkeit, indem man zunächst durch Zurücklegen des Körpers den Apparat hinten mehr belastet, ihn dadurch vorn aufrichtet und zum Schluss wie beim Sprunge die Beine nach vorn streckt, wie es Figur 2 (Tafel IV) veranschaulicht. Aus derselben Abbildung ist erkenntlich, wie zugleich mit der Vorwärts- auch eine Rechtsbewegung stattfinden muss, da die rechten Segelflächen sich mehr gehoben haben als die linken. Ein genaues Bild von der Construction des Apparates sowohl, als auch von der Handhabung desselben ist in Figur 3 (Tafel IV) gegeben; sie stellt eine photographische Aufnahme von unten dar, deren richtigen Eindruck der Leser am besten empfängt, indem er die Abbildung über sich hält und von unten betrachtet.

Die energische Wirkung der Schwerpunktsverschiebung und die dadurch erreichte sichere Einstellbarkeit des Apparates gaben mir Muth, mich einem Winde anzuvertrauen, bei welchem zuweilen über 10 m Geschwindigkeit gemessen wurden. Dieser Umstand lieferte denn auch die interessantesten Ergebnisse meiner sämmtlichen bisherigen praktischen Flugversuche. Schon bei 6 bis 7 m Windgeschwindigkeit trug mich die 18 qm grosse Segelfläche fast horizontal von der Spitze meines Hügels ohne Anlauf gegen den Wind. Bei grösserer Windstärke lasse ich mich von der Bergspitze einfach abheben und segle langsam dem Winde entgegen. Wie stark die seitliche Bewegung hierbei zuweilen auftritt, erkennt man aus Figur 4 der Tafel IV. Die Flugbahn ist bei zunehmendem Winde oft stark aufwärts gerichtet. Wie man aus den Abbildungen 115 und 116 ersieht, erreiche ich oft Stellungen in der Luft, welche wesentlich höher liegen als mein Abfliegepunkt. Am Gipfelpunkt einer solchen Fluglinie kommt der Apparat zuweilen längere Zeit zum Stillstand, so dass ich oben in der Luft mit den Herren, die mich zu photographiren wünschen, und denen wir die Abbildungen verdanken, über die zur Aufnahme geeignetste Stellung verhandeln kann.*) Ich fühle bei diesen Gelegenheiten sehr deutlich, dass ich gehoben bleiben würde, wenn ich mich etwas auf eine Seite legte, einen Kreis beschriebe und mit der hebenden Luftpartie fortschritte. Der Wind selbst sucht diese Bewegung einzuleiten; denn meine Hauptthätigkeit in der Luft besteht darin, das Wenden nach rechts oder nach links zu verhüten, weil ich weiss, dass hinter mir und unter mir der Berg liegt, von dem ich abgeflogen bin und mit dem ich in eine unsanfte Berührung kommen würde, wenn ich mich auf das Kreisen einliesse. Mein Bestreben ist aus diesem Grunde darauf gerichtet, entweder durch noch stärkeren Wind oder durch Flügelschläge höher und vom Hügel weiter ab zu kommen, so dass ich kreisend den stark liebenden Windpartien folgen kann und den genügenden Luftraum unter und neben mir habe, um mit Sicherheit einen Kreisflug zu vollenden und schliesslich doch wieder gegen den Wind gerichtet zu landen.

Sobald mir oder einem anderen Experimentator der erste volle Kreisflug gelungen sein wird, ist dieses Ereigniss als eine der wichtigsten Errungenschaften auf dem Wege zum vollendeten Fluge anzusehen. Von diesem Momente an wird man die lebendige Kraft des Windes erst vollkommen ausnutzen können, indem man es möglichst so einrichtet, dass man bei anschwellendem Winde sich gegen denselben richtet, und bei abnehmendem Winde, denselben überholend, mit dem Winde fliegt. Man wird hierbei eine ähnliche Wirkung verspüren, wie sie Professor LANGLEY in seiner berühmten Abhandlung über die innere Arbeit des Windes beschreibt. Der Schritt von der theoretischen Erkenntniss bis zur praktischen Ausführung ist aber hier kein leichter. Welche Gewandtheit dazu gehört, um in wohlgezielten Kreisschwüngen gänzlich vom Winde sich tragen zu lassen, kann nur Derjenige ermessen, welcher die Schwierigkeiten in dem Umgange mit dem Winde genauer kennt. Und doch kann man durch Uebung alles dieses erreichen. Wenn sich erst Vereinigungen bilden, deren einzelne Mitglieder sich gegenseitig anspornen, so können derartige Erfolge nicht lange ausbleiben.

 

Originalfoto Abb. 115

 

Hierzu kommt, dass man vom einfachen Schweben und Segeln, welches unter allen Umständen die erste Grundlage im praktischen Fliegen bildet, nach und nach dem Fluge mit bewegten Organen übergehen wird. Dadurch, dass man erst einige Zeit in der Luft sich halten kann, sind die Anknüpfungspunkte für weitere dynamische Flugwirkungen leicht und gefahrlos zu finden. Es lassen sich die hierfür ersonnenen Ideen ohne weiteres praktisch erproben, indem man den einfachen Schwebeflug zu Grunde legt und die motorische Leistung demselben in der betreffenden Form hinzufügt. Auf diese Weise wird man bald die besten Methoden auffinden, weil dieselben nicht nur auf dem Papier existiren und Projecte bleiben, sondern beim freien Fluge zur Anwendung gelangen.

Das Einzige, was bei allen diesen Veranstaltungen Schwierigkeiten bereiten kann, ist die Beschaffung eines geeigneten Uebungsterrains.

Ebenso wie den grösseren Vögeln das Auffliegen von der Erde erschwert ist, so stösst auch der Mensch als ein noch schwererer Flugkörper auf besondere Hindernisse, um überhaupt erst in die Luft hinein zu kommen. Die grösseren Vögel nehmen einen Anlauf gegen den Wind oder stürzen sich von erhöhten Punkten in die Luft, um den freien Gebrauch ihrer Schwingen zu erlangen. Sobald dieselben aber erst in der Luft schweben, geht der Flug, der durch besondere Anstrengungen eingeleitet wurde, leicht von statten. Aehnlich ist es auch beim Fliegen des Menschen. Die Hauptschwierigkeit bildet das erste Freiwerden von der Erde, und hierzu wird es stets besonderer Veranstaltungen bedürfen. Auch der Mensch wird mit seinem Flugapparat einen Anlauf gegen den Wind nehmen müssen. Aber auf horizontalem Boden wird auch das noch nicht genügen, um sich von der Erde frei zu machen. Durch den Anlauf auf einer entsprechend geneigten Fläche dagegen gelingt es, auch bei windstillem Wetter den Flug zu beginnen.

 

Originalfoto Abb. 116

 

Nach dem Beispiel jedes Vogels muss also auch der Mensch gegen den Wind gerichtet abfliegen. Da hierzu aber gleichzeitig eine geneigte Fläche erforderlich ist, so braucht man, um nach allen Windrichtungen abfliegen zu können, einen kegelförmigen Berg, von dessen Spitze man nach allen Richtungen den Anlauf gegen den Wind nehmen kann. Der zu diesem Zwecke von mir in Gross-Lichterfelde bei Berlin errichtete künstliche Hügel von 15 m Höhe ist den Lesern des Prometheus schon aus den Tafeln der Nr. 261 bekannt. Auch die heutigen Abbildungen zeigen denselben in seiner äusseren Ansicht. Leider ist bei den Segelflügen von diesem Hügel die Beobachtungsdauer etwas kurz. Auch gelangt man zu bald in die tieferen Luftschichten, in welchen der Wind stets schwächer weht und sehr an Tragfähigkeit verliert. Ausserdem sind die Böschungen des Hügels zu steil, um Anfängern gute Gelegenheit zum gefahrlosen Ueben zu geben.

In Abbildung 117 ist ein Querschnitt dieses Hügels dargestellt, in dem man die in der Spitze desselben angebrachte Höhlung zur Aufbewahrung der Apparate erkennt. Gleichzeitig ist die bei windstillem Wetter beschriebene Fluglinie punktirt angegeben.

 

Originalzeichnung Abb. 117

 

Wenn es sich aber darum handeln würde, einen Sportplatz zu schaffen, auf dem die bewegungslustige Jugend in der Luft sich tummeln und in möglichst anregenden Flugübungen sich austoben soll, so würde ich empfehlen, den Hügel mindestens doppelt so hoch zu wählen und nach Abbildung 118 zu formen, damit der Flug aus 30 m Höhe begonnen werden kann und ähnliche Wirkungen entstehen wie bei meinen Flügen in den Rhinower Bergen, deren Beschreibung in Nr. 220 des Prometheus veröffentlicht wurde.

 

Originalzeichnung Abb. 118

 

Der Hohlraum wird am besten so gross gemacht, dass einige Apparate zusammengesetzt hineingestellt werden können.

Von einem solchen Berge aus lassen sich dann 200 m weite Luftsprünge machen, und das Dahinschweben auf so grosse Entfernungen gewährt einen unvergleichlichen Reiz, zumal in allerlei Wellenlinien geflogen werden kann. Dabei ist diese Schwebebewegung nicht gefährlich, weil sich jederzeit eine glückliche Landung bewirken lässt.

Ein solcher Sportplatz, auf dem die jungen Männer sich im Segelfluge üben und gleichzeitig hin und wieder in der Luft Bewegungsversuche mit den Flügeln anstellen, wird eine gewaltige Anziehungskraft sowohl für das interessirte, als auch für das nur schaulustige Publikum bilden. Wenn dann gar von Zeit zu Zeit ein richtiges Wettfliegen veranstaltet wird, so dürften sich bald ähnliche Volksfeste herausbilden wie bei anderen sportlichen Wettkämpfen. Man kann schon jetzt übersehen, dass die Freude und Theilnahme des Publikums an diesem Wettstreite, bei welchem die fluggewandten Jünglinge durch die Luft dahinschiessen, eine grössere und innigere sein wird, als wie z.B. beim Wettrennen oder Wettrudern. Die Luft ist das freieste Element, sie lässt die freiesten Bewegungen zu. und die Bewegungen in ihr gewähren das grösste Entzücken sowohl für den Fliegenden selbst, als für den Zuschauer. Mit Staunen und Bewunderung sehen wir den Luftgymnastiker sich von Trapez zu Trapez schwingen. Und was sind diese winzigen Sprünge gegen den gewaltigen Schwung, den sich der Luftsegler von der Spitze des Berges zu geben vermag und der ihn Hunderte von Metern in das Land hinaus trägt?

Dass hierbei die Gefahr sich sehr gut vermeiden lässt, wenn man in verständiger Weise die Uebungen anstellt, habe ich genügend dadurch bewiesen, dass ich seit fünf Jahren bei Tausenden von Flügen ausser geringen Abschürfungen keinen Schaden genommen habe.

In ruhiger Atmosphäre segelt man gleichmässig schnell dahin, sowie aber nur etwas Wind sich erhebt, nimmt die Flugbahn eine bewegte Form an. Der Apparat neigt sich bald nach rechts, bald nach links. Der Fliegende steigt aus der gewohnten Fluglinie heraus. Plötzlich bleibt er vom Winde getragen hoch oben in der Luft an einem Punkte schweben. Den Zuschauern stockt der Athem. Da ertönt brausender Jubel; der Fliegende segelt wieder weiter und gleitet unter freudigen Zurufen der Menge in schlanker Curve wieder zur Erde hernieder.

Kann irgend ein anderer Sport so viel Reiz gewähren wie der Flugsport? Kraft und Gewandtheit, Muth und Entschlossenheit können nirgends solche Triumphe feiern, wie bei diesen gigantischen Luftsprüngen, in denen der Turner sein Flugsegel haushoch über den Köpfen der Zuschauer sicher dahinführt.

Das alles ist aber nur Mittel zum Zweck. Unser Endziel bleibt die Entwickelung des Menschenfluges bis zu möglichst hoher Vollkommenheit. Gelingt es, die jungen Männer, welche heute zur Stählung ihrer Muskeln und Nerven sich auf das Zweirad oder in das Ruderboot setzen, auch auf den Hügel zu führen, von wo aus sie, durch Flügel getragen, in die Luft hinausgleiten, so haben wir die Entwickelung des Menschenfluges in eine Bahn geleitet, welche von selbst zur Vollendung führt.

Wer aber wird uns in der Nähe der Grosstadt diesen Hügel erbauen, auf welchem ein regelrechter Fliegesport sich entwickeln soll, wo die jungen Leute im Fliegen unterrichtet werden und schliesslich das Flugproblem seiner Lösung entgegengeht? Das geeignete Terrain in unmittelbarer Nähe unserer an natürlichen Bodenerhebungen leider so armen Hauptstadt ist in grossherziger Weise von einem wohlwollenden reichen Manne für die nächsten Jahrzehnte zur Verfügung gestellt. Aber es fehlt noch an einem zweiten reichen Manne, der das Werk vollendet und uns jene Stätte herrichtet, auf welcher die Flugfrage systematisch bearbeitet werden kann.

Sowohl von Staats wegen in Moskau, als auch von privater Seite in Boston beschäftigt man sich sehr lebhaft mit der Bildung einer Station für praktische Flugversuche im grossen Maassstabe. Es wäre schade, wenn durch mangelnden Unternehmungsgeist dergleichen in unserem Vaterlande nicht zu Stande käme.

*) Die Aufnahmen erfolgten von den Herren Dr. Neuhaus und Dr. Fülleborn mit der von Dr. Neuhaus construirten Stegemannschen Geheimcamera.

Tafel III
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Tafel IV
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Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4